Gegenwartsliteratur,  Rezension,  Summer Reading Challenge 2018

E. Annie Proulx – Schiffsmeldungen

Sand Between My Toes: Read a book that takes place in or around a beach/ocean.

Quoyle war zeit seines Lebens ein Versager: vom Vater verachtet, von seiner Frau verabscheut und mit enormen Minderwertigkeitskomplexen geschlagen – nicht zuletzt wegen seines auffallend großen Kinns.

Nachdem sein einziger Freund ans andere Ende der USA zieht, Quoyle seinen mittelmäßigen Job bei einer Zeitung verliert und innerhalb kürzester Zeit sowohl sein Vater als auch seine Frau sterben, macht sich Quoyle mit dem Erbe, den beiden Töchtern und seiner Tante auf den Weg nach Neufundland – der Heimat seiner Vorfahren. Zur großen Überraschung steht das alte Haus noch, 40 Jahre, nachdem das letzte Familienmitglied die Insel verlassen hat, und so zieht Quoyle mit seiner Familie ein.

Zum ersten Mal hat er das Gefühl, dazu zu gehören. Er bekommt einen Job bei der Lokalzeitung, für die er die Schiffsmeldungen schreiben soll – Informationen über die Schiffe, die in der aktuellen Woche im Hafen angekommen oder wieder abgereist sind. Was zunächst nach denkbar langweiligen Artikeln klingt, entwickelt sich schnell zum spannendsten Teil der Zeitung. Und nicht zuletzt fühlt er sich unter den verschrobenen Neufundländern nicht mehr wie ein Freak – obwohl seine Vorfahren einen gewissen, nicht gerade vorteilhaften, Ruf auf der Insel haben. Es scheint, das raue Atlantikklima hinterlässt seine Spuren bei den Einheimischen. Sexueller Missbrauch gehört zur Tagesordnung, Autounfälle und Schiffsunglücke lösen Begeisterung aus und Parties enden mit Vandalismus, der es in sich hat.

Gemeinsam mit Quoyle erfährt der Leser interessante Aspekte über die spannende Geschichte sowohl seiner Vorfahren als auch der Insel. So sollen die alten Quoyles zunächst als Piraten auf einer nahegelegenen Insel gelebt haben, bis sie schließlich ihr Haus über das zugefrorene Meer nach Neufundland gezogen haben. Die Insulaner haben zudem ein recht zwiegespaltenes Verhältnis zum übrigen Kanada, was immer wieder anhand verschiedener Beispiele zur Sprache kommt. Sie fühlen sich von der kanadischen Regierung, der Gesellschaft und dem Rest der Welt vernachlässigt und ignoriert, möchten aber trotzdem an keinem anderen Ort der Erde leben. Die Erzählungen der Alteingesessenen und Quoyles Erlebnisse machen neugierig und wecken Lust, selbst mal Neufundland zu erkunden.

E. Annie Proulx erhielt für ihren Roman „Schiffsmeldungen“ den Pulitzerpreis. Obwohl die Geschichte an sich schon lesenswert ist, war das ausschlaggebende Element vermutlich ihr Schreibstil, der von vielen seltenen Adjektiven und häufig unvollständigen bzw. abgehackten Sätzen sowie teilweise Gedankensprüngen geprägt ist. Dadurch gestaltet sich die Lektüre zunächst etwas schwierig, doch wer durchhält, hat sich bald „eingelesen“ und wird mit einer tragisch-komischen Geschichte belohnt.

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